Kalt erwischt, cool gelöst.
Die Gasmangellage 2012 – und was wir daraus gelernt haben.
Der Winter will bleiben.
Im Februar 2012 ziehen die Menschen in Süddeutschland alles an warmer Kleidung an, was sie im Schrank haben. Es ist bitterkalt. Jeder Schritt draußen fällt schwer. Es wirkt so, als hätte selbst der Wind keine Lust, sich zu bewegen. Der Flaute in der Luft schließt sich auch die Sonne an, die sich kaum noch blicken lässt. Eine herausfordernde Zeit für viele Menschen. Und für die Wärmeversorgung.
Bayern und Baden-Württemberg sind das letzte Glied in einer Kette unglücklicher Umstände: Die Kälte in Russland ist im Frühjahr 2012 noch extremer als in Deutschland. „Väterchen Frost“ zieht die Temperaturen auf minus 20 Grad in die Tiefe. Mit der Folge, dass die dortige Erdgasindustrie große Teile ihrer geplanten Lieferungen nach Westeuropa zurückhält. Die Wärme wird vor allem in den Heizkraftwerken des eigenen Landes gebraucht. In der Folge kommt immer weniger Erdgas in Süddeutschland an.
Väterchen Frost stellt die europäische Familie vor Probleme.
Am 9. Februar schreibt das Onlineportal der Zeitung Die Welt:
„Schüler frieren, weil zu wenig Gas aus Russland fließt.“ So wurden „vielerorts bereits Industriekunden aufgefordert, ihre Kessel abzustellen oder auf einen anderen Brennstoff umzustellen. In einigen Gemeinden wurden auch Bürger aufgefordert, ihre Heizungen zu drosseln. Die Stadtwerke Ettlingen bei Karlsruhe mussten beispielsweise bereits die Heizungen in den örtlichen Schulen, im Hallenbad und im eigenen Verwaltungsgebäude drosseln. Auch Industriekunden erhielten kein Gas mehr.
Laut eines Sprechers von OGE käme am Bayerischen Gas-Übergangspunkt Waidhaus derzeit 25 bis 30 Prozent weniger Erdgas an. Man habe bereits vier Kraftwerke im süddeutschen Raum vom Netz genommen.“
Einige Tage vorher hatte Der SPIEGEL bereits betont, dass die angespannte Lage am Wärmemarkt ein europäisches Problem sei:
„Nicht nur Deutschland ist betroffen. Auch Österreich, Polen und Italien klagen über sinkende Gaslieferungen. Der österreichische Gasversorger OMV berichtete über Liefereinschränkungen von rund 30 Prozent „aufgrund des strengen Winters in Russland“. Dank der starken Inlandsproduktion und durch den Rückgriff auf strategische Speichervorräte sei die Versorgung Österreichs aber gesichert. Polen sei angesichts der Lieferengpässe bereits dazu übergegangen, das Land aus eigenen Reserven zu versorgen. Der italienische Gasversorger Snam wich zur Versorgung der Kunden auf andere Lieferanten und Gasspeicher aus.“
Gasmangellage – ein neuer Begriff macht die Runde
Das Wort Gasmangellage beschreibt, dass es in Süddeutschland nicht um den Ausfall der Gasversorgung geht. Sondern um eine deutlich eingeschränkte Transportsituation.
In dieser Zeit treffen sich die Branchenvertreter des europäischen Energiemarkts auf der E-world in Essen. In einem ruhigen Besprechungsraum von OGE kommt es zu einem denkwürdigen Gipfeltreffen: Die Entscheider der Fernleitungsnetzbetreiber setzen sich bei Kaffee und Keksen zusammen.
Topthema: natürlich die Situation im Süden. Sie diskutieren, wie und über welche Wege sich das Erdgas in die betroffenen Regionen transportieren ließe. Die Nord-Süd-Richtung scheidet aus. Zwar gibt es beispielsweise in Norwegen ausreichend Erdgasvorräte, doch die Pipelines Richtung Süddeutschland haben ihre Kapazitätsgrenzen erreicht. Einer der Lösungsansätze sieht im Zuge von Swap-Geschäften und Abtäuschen Lieferungen aus verschiedenen Ländern nach Baden-Württemberg vor. Mit dieser und weiteren Maßnahmen, auf dem kurzen europäischen Dienstweg beschlossen, löst sich die Gasmangellage schließlich auf.
Die Kommunikation zwischen den europäischen Partnern im Erdgasmarkt funktioniert.
Keine Selbstverständlichkeit in Zeiten des so genannten Unbundling. Bei der politisch gewünschten Trennung von Netz und Vertrieb ist unter anderem vorgesehen, dass Kundendaten aus dem Netzbereich nicht an den Vertrieb weitergeleitet werden dürfen. Der Netzbetreiber muss sogar den Informationsfluss zwischen Netz und Vertrieb verhindern. Die Rede ist hier von „Chinese Walls“. Der unbürokratische Austausch, wie auf der E-World 2012 geschehen, überwindet diese virtuelle Mauer – zum Wohl von hunderttausenden Kunden.
Auch der Winter 2012 endet irgendwann. Politiker, Energieversorger und Netzbetreiber atmen einmal kräftig durch. Das Bundeswirtschaftsministerium stellt fest:
„Der hohe Stellenwert einer ausreichenden Vorsorge war im Zusammenhang mit ... der regional schwierigen Versorgungssituation in Deutschland im Februar 2012 deutlich geworden. Ein frühes Erkennen eventueller Defizite ist im Gasbereich von hoher Bedeutung ... Insofern hat die Vermeidung von Versorgungslücken auch im Gasbereich hohe Priorität.“
LÜKEX probt den Ernstfall.
Regelmäßig verabreden sich Verantwortliche aller Bundesländer zu länderübergreifenden Krisenmanagementübungen, LÜKEX abgekürzt. Im November 2018 steht die Erdgasversorgung auf der Agenda: Die Teilnehmer spielen die süddeutsche „Gasmangellage“ durch – unter verschärften Bedingungen. Im angenommenen Szenario von LÜKEX sinken aufgrund extremer Wetterbedingungen die Füllstände der Gasspeicher, so dass sich die Versorgungslage sukzessive verschlechtert. In der Folge wären zunächst die Wirtschaft und später teilweise die Bevölkerung von einer ausbleibenden Gasversorgung betroffen.
Die Akteure des Erdgasmarktes kommen miteinander ins Gespräch.
Die Übung ist deshalb besonders wichtig, weil hier die föderalen Institutionen und die Marktteilnehmer der Erdgasversorgung miteinander vernetzt werden. Die beteiligten Personen lernen, besser zusammenzuarbeiten. Mit im Boot sitzen Vertreter des öffentlichen und privaten Bevölkerungsschutzes, der Inneren Sicherheit und der Versorgungssicherheit.
Was tun die Verantwortlichen präventiv, um eine dramatische Lage am Gasmarkt zu verhindern? Und wie würden sie handeln, wenn es doch einmal so weit kommt?
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) schreibt dazu in einer Pressemitteilung:
„Durch eine systematische Krisenvorbereitung soll in einem tatsächlichen Krisenfall der bestmögliche Schutz für die Bevölkerung gewährleistet werden. Im BBK werden die LÜKEX-Übungen von einer Projektgruppe ressortübergreifend – in Zusammenarbeit mit den Ländern – geplant, vorbereitet, durchgeführt und ausgewertet. Getreu dem Motto „In der Krise Köpfe kennen“ kann sich so idealerweise eine Abstimmungskultur entwickeln, die über die Übung hinaus das Krisenmanagement der Akteure verbessert.“
Krisenteam und Krisenstufen: der „Notfallplan Gas“:
„Im Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie sind Maßnahmen beschrieben, wenn es zu einer Störung der Erdgas-Versorgung kommt. Sobald sich eine solche Situation abzeichnet, wird das „Nationale Krisenteam“ einberufen, an dessen Sitzungen Vertreterinnen und Vertreter der Länder, des Bundes und der Gaswirtschaft (je nach Bedarf Fernleitungsnetzbetreiber, Verteilnetzbetreiber, Fachverbände) teilnehmen. Eine Aufgabe der Bundesnetzagentur in der Übung wird es sein, in diesem Krisenteam zu agieren.
Ebenfalls im Notfallplan Gas sind drei Krisenstufen festgehalten, die je nach Bewertung der Situation festgestellt werden und unterschiedliche Folgemaßnahmen nach sich ziehen: Frühwarnstufe, Alarmstufe und Notfallstufe. Im Laufe der Übung wird die Feststellung der Notfallstufe durch Verordnung der Bundesregierung erfolgen, durch die die Bundesnetzagentur als Bundeslastverteiler aktiv wird.“
Die Eigenschaften der Notfallstufe bei einer Gasmangellage:
- Technisches Problem: Ausfall wesentlicher Leitungen und/oder Verdichteranlagen ohne Möglichkeit einer schnellen Alternativversorgung (Havarie)
- Weitere massive langfristige Lieferausfälle sind zu erwarten ohne ausreichende Möglichkeit einer Alternativversorgung
- Maßnahmen nach § 16 Abs. 2 EnWG genügen nicht mehr für die Systemstabilität
- Regelenergie ist am Markt durchgängig nicht ausreichend verfügbar und nicht kurzfristig beschaffbar) oder Regelenergiehandel ist ausgesetzt
- Verschlechterung der Versorgungssituation, so dass Versorgung der Haushaltskunden sowie lebenswichtiger Bedarf gefährdet sind
Die Erdgasversorgung in Deutschland ist sehr sicher und gut organisiert.
Das oben beschriebene Szenario aus LÜKEX sollte eigentlich nicht vorkommen. Wenn doch, sind Behörden, Netzbetreiber und Energieversorger auch durch solche Übungen sehr gut darauf vorbereitet.
Außerdem zeigen die Erfahrungen mit der Gasmangellage 2012: Im Ernstfall bewähren sich die guten Kontakte zu den europäischen Partnern am Energiemarkt. Die Zusammenarbeit funktionierte reibungslos und die gewonnenen Erkenntnisse führten zu weiteren Optimierungen des gesamten Transport- und Versorgungssystems. Wenn Fachleute unterschiedlicher Disziplinen gut zusammenarbeiten und ein gemeinsames Ziel verfolgen, werden Probleme cool gelöst.